© Copyright by Sascha Büttner | Impressum | Datenschutzerklärung
Derive-Paradox: Trackingdaten einer geplanten Planlosigkeit
Am 3. Oktober 2025, irgendwo zwischen situationistischer Tradition und GPS-Totalüberwachung, unternahm ich eine Derive von Limburg nach Dietkirchen – wobei die mitlaufende GPX-Datei mit ihren 462 Wegpunkten eigentlich schon der erste Widerspruch war: Kann man noch ziellos schweifen, wenn jeder Schritt in Koordinaten zerfällt, wenn die spontane Stadterkundung zur XML-Struktur gerinnt?
Die Route führte vormittags ab 7:21 Uhr durch Limburg, erst langsam ansteigend von 155 auf 174 Meter, dann wieder hinunter auf 109 Meter am tiefsten Punkt. Die Trackingapp verzeichnete 13,58 Kilometer in gut vier Stunden – wobei die tatsächliche Bewegungszeit nur knapp drei Stunden betrug, was den eigentlichen Punkt der Unternehmung dokumentiert: das Verweilen, das Lauschen, das Aufnehmen.
Fieldrecordings entstanden an mehreren Stationen des Wegs, akustische Momentaufnahmen zwischen Lahn und Stadtrand. Die Koordinaten 50.391/8.092 markieren dabei einen besonders ergiebigen Aufnahmepunkt – auch wenn die präzise Verortung des Klangs irgendwie absurd erscheint, als könnte man Geräusche festnageln wie Schmetterlinge in der Vitrine.
Der eigentliche Höhepunkt ereignete sich nach längerem Warten gegen 10:20 Uhr: Ein ICE-Durchfahrtsmoment, der sich sowohl visuell als auch akustisch perfekt einfangen ließ. Die GPS-Daten zeigen hier eine charakteristische Warteschleife, ein Kreisen um denselben Punkt – die digitale Signatur der Geduld, wenn man so will. Das Recording gelang, das Bild auch, die Technologie dokumentierte pflichtbewusst mein dokumentierendes Warten.
Zurück ging es dann über eine leicht variierte Route, wobei die Höhenmeter zwischen 109 und 174 Metern pendelten – eine topografische Wellenbewegung, die das GPS-Gerät mit wissenschaftlicher Akribie festhielt, während ich eigentlich nur dem Rhythmus der Stadt folgte, ohne Plan, aber vollvernetzt.
Die Ironie bleibt: Eine Derive, die sich der Kontrolle entziehen will, produziert 13.580 Meter präzise vermessene Wegstrecke. Der Versuch des ziellosen Umherschweifens hinterlässt eine lückenlose Datenspur. Vielleicht ist das der eigentliche Drift – zwischen analoger Intention und digitaler Realität, zwischen Schweifen und Schweifdatenerfassung.
Die an diesem Tag entstandenen Fieldrecordings sind auf radio aporee nachzuhören – eine kleine Sammlung urbaner Klangmomente aus Limburg und Dietkirchen:
https://aporee.org/maps/?loc=69851&snd=81333
https://aporee.org/maps/?loc=69852&snd=81334
https://aporee.org/maps/?loc=69853&snd=81335
https://aporee.org/maps/?loc=69854&snd=81336
https://aporee.org/maps/?loc=69855&snd=81337
https://aporee.org/maps/?loc=69856&snd=81338













