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Eine Reportage vom Tagebau Hambach
Wo die größte Braunkohlegrube Europas zum Erlebnispark wird und der Weltuntergang zur Touristenattraktion
26. Juni 2025, morgens zwischen halb acht und neun Uhr
Prolog: Willkommen in der Apokalypse
Die orangenen Metallschirme leuchten in der Morgensonne wie Warnsignale einer vergangenen Zivilisation. Perfekt arrangiert stehen sie am Rand des Forum Terra Nova, eingebettet in eine künstliche Dünenlandschaft aus Bergkies. Darunter warten rostbraune Stahlliegen auf Besucher, die sich entspannt zurücklehnen und dem Untergang zuschauen möchten. Der Blick schweift über die größte Wunde, die Menschen je in die europäische Erde gerissen haben: 85 Quadratkilometer Verwüstung, 411 Meter tief. Das “größte Loch Europas”, wie es euphemistisch genannt wird.
Hier, am Aussichtspunkt Terra Nova 1, hat RWE für vier Millionen Euro ein architektonisches Meisterwerk der Verdrängung geschaffen. Ein Ort, der die Zerstörung zur Kunst erhebt und den Wahnsinn mit einem Hauch von Luxus übertüncht.
Die Inszenierung der Katastrophe
Landschaftsarchitekt Dirk Melzer bezeichnete den Ort stolz als einen Park “mit Blick in Gegenwart und Zukunft”. Alle Landschaftselemente sollten die Idee eines Binnenmeers abbilden: die Dünenlandschaft aus Bergkies, die lichte Bepflanzung mit Sanddorn und Sandrasen, die Steganlage aus Betonbohlen, die Leuchtschirme und Liegestühle aus orange reflektierendem Stahl.
Was für eine perfide Poesie: Ein Meer aus Zerstörung wird zur Strandidylle verklärt. Die orange glühenden Schirme und Liegen, strategisch positioniert wie in einem Luxusresort, laden dazu ein, der systematischen Vernichtung eines ganzen Landstriches beizuwohnen. Der Landungssteg dominiert die Szenerie und bildet ein starkes, fokussierendes Bindeglied zwischen Gebäude und Aussichtspunkt. “Er wirkt wie ein Laufsteg”, schwärmt der Architekt.
Ein Laufsteg in die Apokalypse. Hier promenieren Ausflügler über einen Betonpier, der ins Nichts führt – dorthin, wo einst Wälder, Dörfer und jahrhundertealte Kulturlandschaften standen, bevor die Bagger sie verschlangen.
Das Forum selbst, ein monumentaler Betonblock, dessen Fassade farblich auf die im Tagebau zu Tage tretenden Erdschichten angepasst wurde, liegt wie ein sich aus der Erde geschobener Steinblock in der Landschaft. Die Architekten haben das Gebäude sogar mit hydraulischen Lagern ausgestattet, die ggf. auftretende Erdbewegungen aus dem unmittelbar angrenzenden Tagebau auffangen könnten. Selbst das Fundament zittert vor der eigenen Monstrosität.
Überlebenstraining für die nächste Generation
Nur wenige Meter von den Strandliegen der Erwachsenen entfernt hat man einen Spielplatz errichtet, der wie ein dystopischer Kommentar auf die Zukunft wirkt. Halbversunkene Schiffe ragen aus dem Sand – Relikte einer untergehenden Welt, auf denen Kinder “Überleben” spielen können.
Was für eine makabre Metapher: Während die Eltern in Liegestühlen der Klimakatastrophe zuschauen, üben ihre Kinder bereits für das Leben nach dem Kollaps. Die versunkenen Schiffe symbolisieren das Scheitern unserer Zivilisation, verkörpern die Zukunft, die diese Kinder erwartet, wenn wir so weitermachen wie bisher.
Leider aber werden das Forum und der Landschaftspark bisher nur wenig als Informations-, Diskussions- und Gemeinschaftsort genutzt. Die Pächter der Gastronomie vermarkten den Ort als “Eventforum” und Funsportanlage für Fußballgolf und Poolball. Aus dem Mahnmal wurde ein Vergnügungspark, aus der Warnung ein Event.
Spaziergang durch das Nichts – Manheim, die ehemalige Ortschaft
Google Maps ist gnadenlos ehrlich. Wo früher der Ort Manheim verzeichnet war, steht heute lapidar: “Ehemalige Ortschaft Manheim”. Ein ganzer Ort ist zu einer Gedächtnisnotiz geschrumpft, zu einem digitalen Epitaph im Kartendienst des Internetriesen.
Der Spaziergang durch das, was einst Manheim war, gleicht einer Wanderung durch eine Geisterstadt, die nicht einmal mehr Geister beherbergt. Leere Straßen führen ins Nichts, Verkehrsschilder weisen den Weg zu Orten, die es nicht mehr gibt. Über 1000 Jahre alte Ortschaften wie Manheim mussten dem Tagebau weichen. Tausend Jahre Geschichte, gelöscht für einige Jahre Kohleabbau.
Die wenigen noch stehenden Gebäude wirken wie Kulissen eines aufgegebenen Filmsets. Verlassene Häuser mit zugenagelten Fenstern, verwilderte Gärten, in denen noch die Rosen der Vertriebenen blühen. Etwa 5.000 Menschen wurden bereits umgesiedelt, insgesamt sollen 5.200 Menschen ihre Heimat verlassen.
Hier und da steht noch ein Ortsschild – grotesk deplatziert in der Einöde. “Manheim” verkündet es stolz, als wollte es leugnen, was ringsum zu sehen ist: das systematische Auslöschen einer Gemeinde, die Vernichtung von Heimat im Namen des Profits.
Besonders zynisch: Die alte Kirche St. Albanus und Leonhardus soll als identitätsprägendes Kultur- und Architekturrelikt nachgenutzt werden und mit den umliegenden Flächen als Ensemble zu einem Kulturpark entwickelt werden. Ein Relikt der zerstörten Gemeinschaft wird zum Museumsstück degradiert, zum pittoresken Überbleibsel einer ausgelöschten Welt.
Die Seensucht der Zerstörer
Während Manheim stirbt, träumen die Planer bereits von der Zukunft. Ab 2030 entsteht der Hambacher See – mit 4,3 Milliarden Litern Wasser der zweitgrößte See Deutschlands. Der See, der dadurch entsteht, wird etwa 1.200 Hektar groß und 200 Meter tief sein. Über die folgenden 30 Jahre soll der See dann weiter wachsen, bis er 2070 seine endgültige Größe erreicht hat. Der Hambacher See ist dann mit 4,3 Milliarden Litern Wasser gefüllt und an seiner tiefsten Stelle 365 Meter tief.
Ein künstliches Meer soll entstehen, wo einst gewachsene Kulturlandschaft war. 18 Kreiselpumpen sorgen anschließend dafür, dass bis zu 18 m³ Wasser pro Sekunde zum Tagebau Hambach geführt werden. Das Rheinwasser wird die größte Wunde heilen, die je in deutsche Erde geschlagen wurde.
Doch wer zahlt den Preis? 50 Prozent aller CO₂-Emissionen der deutschen Stromproduktion sind auf die Braunkohle zurückzuführen. Die CO₂-Emissionen aus der Verbrennung der 2019 noch verbliebenen Braunkohle würden rechnerisch für eine Erhöhung des natürlichen CO₂-Gehalts der Atmosphäre um ca. 0,7 Promille weltweit ausreichen.
Der Hambacher Forst – Mahnmal des Widerstands
Nur wenige Kilometer entfernt kämpft eine andere Welt ums Überleben. Der Hambacher Forst ist seit fast 11 Jahren besetzt. In dieser Zeit war er Zuhause, Zufluchts- und Organisierungsort für die verschiedenste Menschen. Von dem vor der bergbaulichen Inanspruchnahme etwa 4.100 Hektar großen “Hambacher Wald” sind noch etwa 650 Hektar übrig.
Am 29.1.2025 startete RWE die Vernichtung eines bis zu 12000 Jahre alten Ökosystems. Mit 400-500 rekrutierten Secus und 6 Harvestern, mehreren Radladern, Baggern, 2 Hebebühnen einer Planierraupe und mehreren Baumfällunternehmen mit insgesamt ca 20 Kettensägen, ging es los.
Während die Besucher des Terra Nova ihre Cocktails schlürfen und der Zerstörung applaudieren, sterben die letzten Bäume eines 12.000 Jahre alten Ökosystems. Der Kontrast könnte brutaler nicht sein: Hier die inszenierten Strandliegen vor der Kulisse der Vernichtung, dort die letzten Aufrechten, die sich mit ihren Körpern zwischen die Sägen und die Bäume werfen.
Epilog: Das Erbe der Gegenwart
Das Forum Terra Nova verkörpert die perfekte Verdrängungsarchitektur unserer Zeit – ein architektonisches Meisterwerk der Schönfärberei. Mit vier Millionen Euro haben sie ein Denkmal der Ignoranz geschaffen, das kommenden Generationen zeigen wird, wie wir die Klimakatastrophe zur Touristenattraktion gemacht haben.
Die orangenen Metallschirme werden bleiben, wenn längst klar geworden ist, was wir hier angerichtet haben. Sie werden Zeugnis ablegen von einer Zeit, in der Menschen sich entspannt zurücklehnten und dem Ende der Welt zuschauten – mit einem Kaffee in der Hand und einem Lächeln im Gesicht.
Es wird Jahrhunderte dauern, bis sich nach Beendigung der Tagebautätigkeiten wieder natürliche Grundwasserverhältnisse einstellen. Jahrhunderte, um zu heilen, was in wenigen Jahrzehnten zerstört wurde. Die Kinder auf den versunkenen Schiffen werden alt sein, wenn das Wasser endlich in das Loch fließt, das wir gerissen haben. Und sie werden sich fragen, wie wir es schaffen konnten, die Apokalypse so schön zu verpacken.
Am Terra Nova Aussichtspunkt kann man heute schon üben für die Zukunft: entspannt zusehen, wie die Welt untergeht. Das haben sie perfektioniert in Hambach – die Ästhetik der Katastrophe, den Komfort beim Kollaps, die Wellness im Weltuntergang.
Willkommen im Anthropozän. Nehmen Sie Platz. Die Show geht weiter.