Schrift-Bilder
Aufzeichnungen, Winter 2025
In einer Erweiterung eines Zitat von Michel Foucault sage ich von mir, dass „ … ich schreibe und fotografiere und gestalte und organisiere, um mich selbst zu verändern und nicht mehr dasselbe zu denken wie zuvor.“
Mein Schreiben, mein Fotografieren, all mein Tun ist folglich ein Tun für mich. Weil ich nach Stille dürste, nach einem einfachen Leben strebe (merke: kein einfältiges oder armes!), schreibe ich. Ich teile mich mit. Ich teile mich mir mit. Ich lege Zeugnis ab. Schreiben ist zuerst ein mit sich in die Stille gehen. Was kommt mir in den Kopf? Was regt sich? Was will gesagt werden? Was spüre ich? Beim fotografieren ist es etwas anders. Habe ich einen Fotoapparat zur Hand, dann ist das Fotografieren eine Reaktion auf alles, was mich umgibt, was meine Aufmerksamkeit erregt. Sei es durch belebte oder sei es durch unbelebte Materie. Mittlerweile ist es mir einerlei herauszubekommen, warum ich mal einen Apparat mit mir trage, und wann nicht. Schon lange ziehe ich nicht mehr los, um bewusst Fotografien anzufertigen. Zum Beispiel von Demonstrationen oder anderen politischen Ereignissen. Meine Fotografie ist spontan und folgt dem Zufall. Ich möchte auch nicht für die Menschen festhalten, wie schön ich die Welt empfinde, oder wie traurig. Auch mein Seelenzustand findet keine Grundlegung in meinen Fotografien oder in dem, was ich niederschreibe. Obwohl ich manchmal feststelle, dass die eine oder andere Aufzeichnung, sei es Text, sei es Bild, der einen oder anderen Gemütslage entspricht. Ich finde das bemerkenswert. Aber es macht mein Werk nicht bemerkenswert. Meine Fotografie wie meine Niederschriften und Aufzeichnungen entbehren jeder Intention. Es gibt nichts zu erklären. Schon gar nicht, was ich, der Künstler, mir bei all dem gedacht habe.
Wenn Du dich nicht mit dem Land bewegst, wird das Land dich bewegen.
(Tyson Yunkaporta)
Unsere Gesellschaft ist aufgeheizt. Medien, Parteien und das Kapital überbieten sich in einem hitzigen Wettlauf um die letzten Ressourcen der Erde. Die Social Media Kanäle sind voll von Wort-Bild-Botschaften. Meistens halte ich mich zurück, diese Botschaften weiterzuverbreiten. Das Trollen habe ich mir abgewöhnt. Der Besonnene erkennt, dass all diese Worte, Bilder, Mischerscheinungen und Phänomene ein einziger Lärmteppich sind. Er weiß, dass letztendlich nur die Stille wirksam ist. Er weiß, dass mal Yin, mal Yang, mal Licht, mal Schatten die Oberhand gewinnen. Der Tag folgt auf die Nacht, die auf den Tag folgt. Das ist der Lauf der Dinge. Und so folgt auf das eine Geschwätz das andere. Im Grunde bleibt es jedoch Geschwätz. Mal möchte mich der Eine von seinem Geschwätz überzeugen, mal der Andere. Beide betrachten mich jedoch als ein Objekt, das je nach Belieben vernichtet, an die Front geschickt, in Armut gestürzt oder mit Macht ausgestattet wird. Eingesperrt in den willkürlichen Grenzen der Ideologie des Nationalstaats soll ich für oder gegen einen anderen Nationalstaat sein. Ich soll für oder gegen das Leben anderer sein.
In Wirklichkeit ist der Krieg zwischen Gut und Böse eine Überlagerung von Weisheit und Komplexität mit Dummheit und Einfachheit.
(Tyson Yunkaporta)
Ich habe die Idee der Aufzeichnungen von Bernard Faucon aufgegriffen und begonnen, eigene Bilder mit Schrift zu kombinieren. Damit allein habe ich mich nicht begnügt. Ich habe ein Bild mit Schrift eines Anderen Instagram-Nutzer über meinen Account weiterverbreitet. Ich fand die Botschaft, die der Spruch in dem Bild vermittelte, lustig und überzeugend. „Schicken wir Musk zum Mars“. Das war die Botschaft. Schicken wir Musk zum Mars, mit all seinem Geld. Lassen wir ihn in eine seiner Raketen stecken und auf die Reise schicken. Wie er bin ich überzeugt, dass er auf dem Mars ein besseres Leben finden wird.
Dann habe ich eine KI-Montage weitergeleitet, die Alice innig knutschend mit Fotzen-Fritz (F. Merz) zeigt. Das Bild ist, wie der Begriff Fotzen-Fritz, absolut sexistisch und entwertet die Person Alice und die Person Friedrich. Sie liebt eine Frau, sie sind verheiratet. Er liebt eine Frau. Sie sind verheiratet. Sie würde (wahrscheinlich) nie einen Mann innig küssen. Er auch nicht. Sie in einer solchen Pose zu zeigen, bedeutet, ihr ihre Identität abzusprechen. Genau so funktioniert Satire. Bevor ich das Bild weitergeteilt habe, habe ich in das Bild ein Wort eingefügt: Geschwisterliebe. Geschwister lieben sich oder hassen sich. Wenn sie sich begehren, sich lieben und dem, oft heimlich, nachgehen, sprechen wir von Inzest. Betrachten wir die beiden Personen als Vertreter zweier Parteien, ergibt diese Wort-Bild-Kombination die mögliche Aussage, dass sich zwei „Schwester-Parteien“ innig vereinen. Konservativ und Rechtsradikal lieben sich schon seit 100 Jahren.
Nur in der Gruppe gelingt es, die Exzesse bösartigen Narzismus zu zügeln.
(Tyson Yunkaporta)
Weiterführende Lektüre
- Tyson Yunkaporta, Sand Talk
- Radna Fabias, Habitus
- Erich Fromm, von der Kunst des Zuhörens
- Bernhard Pörksen, Zuhören
- Elsbeth Ranke, die Wurzeln der Welt
- Felix K. Nesi, die Leute von Oetimu
- David Kopenawa, der Sturz des Himmels
- Mely Kiyak, werden sie uns mit FlixBus deportieren
- Angelika Grubner, die Macht der Psychotherapie im Neoliberalismus
- Adrian Gmelch / Jonathan Ederer, David Lynch begreifen
- Bernard Faucon, Jours D’Image
- Samuel Beckett, Worstward Ho – Aufs Schlimmste zu
- Isabell Graw, Angst und Geld
- Sascha Büttner, Magazin für Alles (Band 3 – “Natur”)
Der Text wurde erstmals am 4.2.2025 auf Dérive & Photography veröffentlicht