Eine Wegbeschreibung zwischen Dernbach und Limburg

Alle Fotografien wurden mit der Leica Q2 Mono am 24. Juni 2025 aufgenommen.

Dernbach – Limburg

Auf dem Weg des Katharina Kasper
Pilgerweg

Limburg, 2025-06-24, 6:44 h, 35,2 km

Asphaltmystik

Eine Wegbeschreibung zwischen Dernbach und Limburg

Um 07:47 Uhr beginnt das, was man euphemistisch eine Wallfahrt nennen könnte, obgleich der Ausgangspunkt – das Kloster der Armen Dienstmägde Jesu Christi – eher an administrative Zweckmäßigkeit denn an mittelalterliche Frömmigkeitsarchitektur gemahnt. Der Katharina-Kasper-Pilgerweg verspricht keine Instagram-taugliche Pittoreske, und das ist seine erste ehrliche Geste.

Wer hier aufbricht, dem geht es nicht um die Ästhetik des Wanderns, sondern um eine merkwürdig unsentimentale Form der Bewegungskontemplation. 35,2 Kilometer durch eine Landschaft, die sich weigert, schön zu sein – zumindest nach gängigen Maßstäben dessen, was Reiseführer als “malerisch” verkaufen würden. Der Westerwald zeigt sich hier in seiner funktionalen Nacktheit: durchzogen von der A3, deren Verkehrsrauschen wie ein permanenter Grundton die vermeintliche Stille grundiert, gekreuzt von ICE-Trassen, die die Moderne als schneidende Linie in die Landschaft einschreiben.

Das Gehen beginnt auf Asphalt. Stundenlang Asphalt und Schotter, eine Materialästhetik der Pragmatik, die jeden romantischen Waldweg-Kitsch im Keim erstickt. Die Landschaft trägt hier ihre Verwundungen offen zur Schau – A3-Schneisen, ICE-Trasse, Hochspannungsleitungen als Stigmata der Moderne, die eine eigentümliche Katastrophenschönheit entwickeln, wenn man sie lange genug betrachtet. Es gibt eine Ästhetik der Zerstörung, die sich nicht in romantischen Ruinen, sondern in der funktionalen Überformung des Territoriums manifestiert. Diese Infrastruktur-Gewitterfronten ziehen ihre eigenen Blitze durch die Landschaft und hinterlassen eine Topografie der Beschleunigung, die das Gehen paradoxerweise entschleunigt. Erst nach Nomborn – nach mehr als der Hälfte der Strecke – öffnet sich der Weg in Felder und Wiesen, als hätte die Route selbst eine Art Läuterung durchgemacht, eine Rekonvaleszenz von der eigenen Modernität.

An diesem 24. Juni, an dem die Sommerhitze bereits um acht Uhr morgens ihre Intensität andeutet, erweist sich die Wegführung als klimatisch durchaus durchdacht. Das schattenreiche Terrain der ersten Stunden wird zu einer Art natürlicher Klimaanlage, die das Gehen erträglich macht. Bis zur Lahn bei Diez. Dort, wo der Schatten schwindet und die Sonne ihre volle Kraft entfaltet, erhöht sich das Tempo fast automatisch – eine körperliche Logik, die älter ist als jede bewusste Entscheidung.

8:13 Stunden Gesamtzeit für einen Weg, der sich seiner spirituellen Absichten nicht schämt, sie aber auch nicht aufdrängt. 6:44 Stunden reine Bewegung, 464 Höhenmeter, eine Geschwindigkeit von 11:29 min/km – Zahlen, die ihre eigene Poesie haben, die Poesie der exakten Vermessung einer Erfahrung, die sich eigentlich jeder Quantifizierung widersetzt.

Denn Pilgern, das wird schnell klar, hat tatsächlich “etwas mit Gott zu tun”, auch wenn man selbst nicht mit Gott zu tun hat. Es ist eine Form der Bewegungsmeditation, die ihre Wirkung auch dort entfaltet, wo der traditionelle Glaubenskontext fehlt. Manchmal geht man nicht für sich selbst. Manchmal trägt man jemanden mit, der längst auf dem Schwesternfriedhof nahe des Mutterhauses ruht – Sr. Hildegaris, deren zwölfeinhalb Jahre Begleitung, eine prägende Zeit meiner Kindheit, sich in wenigen Gehstunden zu einer Art körperlicher Erinnerungsarbeit verdichten.

Der Weg will nicht pittoresk sein, und das macht ihn ehrlich. Er ist Arbeit am Gehen selbst, an der simplen, aber keineswegs banalen Tatsache, dass sich Erfahrung durch Bewegung konstituiert – was jede Spaziergangswissenschaft zu fassen sucht, diese eigentümliche Epistemologie des Gehens, die Landschaft nicht als gegebenes Objekt, sondern als relationalen Wahrnehmungsraum begreift. Die Autobahn wird nicht ausgeblendet, sondern als Teil einer Landschaftserzählung begriffen, die ihre Wahrheit gerade in der Verweigerung romantischer Verklärung findet. Das Gehen durch solche funktional überformten Räume erzeugt eine andere Art der Aufmerksamkeit – eine, die sich nicht an vorgefertigten Schönheitsidealen orientiert, sondern an der komplexen Choreografie zwischen Körper, Raum und Zeit.

Zwischen Dernbach und Limburg erstreckt sich eine geografische Distanz, die sich zugleich als temporaler Raum entpuppt, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart, Gedenken und unmittelbare Körperlichkeit zu einer eigentümlichen Synthese verbinden. Hier entsteht jene stille Arithmetik des Gehens, die aus bloßer Fortbewegung Erkenntnis destilliert – jeder Schritt eine kleine Meditation über Distanz und Dauer, über das Verhältnis von Zeit und Raum, über die merkwürdige Alchemie, die das Wesentliche in der Bewegung selbst aufspürt, fernab spektakulärer Kulissen. Schmale Pfade gibt es hier wenige, aber das Hinterland des Bewusstseins öffnet sich auch auf breiten Asphaltwegen. Die Transformation vollzieht sich durch die hypnotische Regelmäßigkeit des Schrittrhythmus, der nach Stunden zu einer Art körperlicher Mantra wird.

Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Weg, der seine spirituelle Dimension nicht verleugnet, aber auch nicht dogmatisiert. Ein Weg, der zeigt, dass Pilgern weniger mit religiöser Orthodoxie zu tun hat als mit der grundsätzlichen menschlichen Fähigkeit, Bedeutung durch Bewegung zu generieren. Auch ohne Gott. Aber nicht ohne die, die man mitträgt.

GPX-Datei

Meine Trackaufzeichnung könnt ihr hier herunterladen:

gpx-Datei Limburg-Umrundung (782 kB)

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